Natur

Der Matte Pillenwälzer: Insekt des Jahres 2024

Die Natur kennt keine wachsenden Müllhalden. Abgestorbenes oder Abgeworfenes wird von einer Heerschar an Bakterien, Pilzen, Würmern, Schnecken und Insekten wiederverwendet. Und damit in die Prozesse des Lebens zurückgeholt.
Mag. Norbert Ruckenbauer
Pillenwälzer in Orth an der Donau, Treppelweg im August 2020

Kreislaufwirtschaft in Perfektion

Einer dieser wichtigen Wiederverwerter ist der Matte Pillenwälzer (Sisyphus schaefferi), der als Österreich-Vertreter zum Insekt des Jahres gekürt wurde. Schon sein Gattungsname Sisyphus deutet auf seine auffälligste Verhaltensweise hin. Dem Rollen einer Kugel.

Der Namensgeber der Sisyphusarbeit, wurde laut griechischer Mythologie von den Göttern für Respektlosigkeit zu einer ewigen Strafe verdammt. Im Totenreich musste er einen riesigen Felsblock auf einen Berg rollen, wo er aber nicht blieb, sondern wieder hinunterrollte. Zwar hat auch unser Sisyphus schaefferi eine auffällige Neigung zu Hanglagen wie Böschungen, Schutzdämmen und andere Gefälle. Er rollt aber keine Steine, sondern Kotkugeln.

Kot als Nahrungsquelle

Selbst in Kot, den aus Verdauungsprozessen übrig geblieben Resten, sind noch Nährstoffe enthalten. Ist er von größeren Säugetieren und frisch, also feucht und weich, ist er für viele Insektengruppen hochattraktiv. Als Nahrungsquelle für sich selbst oder den zukünftigen Nachwuchs. Allein unter den Käfern gibt es zwei große Gruppen, die sich darauf spezialisiert haben: die Mistkäfer und die Dungkäfer.

Der Matte Pillenwälzer gehört zu den Dungkäfern. Wie auch seine bekannteren Verwandten aus der Gattung Scarabaeus. Die machte das sehr auffällige Formen und Rollen von Dungkugeln im Alten Ägypten zu Sinnbildern des Sonnengottes Ra. Der seinerseits die „Sonnenkugel“ täglich über das Firmament lenkte und schließlich verschwinden ließ.

Sisyphus schaefferi nutzt Kot von sehr unterschiedlichen Säugetieren wie Schaf, Wildschwein, Pferd, Fuchs, Dachs und sogar Mensch. Vor allem, wenn unverdaute Samen und Fruchtschalen enthalten sind, frisst er ihn gern selbst. In der Fortpflanzungszeit direkt oberirdisch oder sonst in Form von Futterpillen, die vergraben werden, um sie unterirdisch zu verzehren.

Die schwere Arbeit von Käfereltern

Für den Nachwuchs formen Pillenwälzer Brutpillen, die grösser und schwerer als die Futterpillen werden. Dazu arbeiten die erwachsenen Tiere zunächst allein oder gleich mit Partner zusammen.

Der Körperbau von Sisyphus ist auf diese Form der Brutpflege zugeschnitten. Während seine Vorderbeine bestens zum Formen einer Kugel oder zum Graben geeignet sind, sind die langen, gekrümmte Hinterbeine perfekt für das Rollen zu runden Kotkugeln.

Die Kugel wird meist von einem Käferpärchen gemeinsam gerollt. Ein Käfer drückt dabei die Kugel von hinten: er setzt die Hinterbeine auf die Pille, stabilisiert sie mit den Mittelbeinen und stemmt mit den Vorderbeinen und dem Kopfschild die Kugel vom Boden ab. Der andere zieht die Kugel von vorne.

Auch beim Graben eines rund 15 cm tiefen Schachtes arbeitet das Käferpaar für vier bis acht Stunden gemeinsam. Das Umformen der Kugel zu einer Brutbirne, die Ei-Ablage und die Bedeckung mit Erde besorgt das Weibchen allein. Dann verlässt auch sie den Ort des Geschehens. Immer wieder erstaunlich, welche Lasten und Leistung kleine Tiere bewerkstelligen können!

Durch Rollen von Kugeln Kreisläufe schließen

Wie andere Dungkäfer fördert auch der Matte Pillenwälzer Naturkreisläufe. Auch in Weideökosystemen. Sie verteilen Kot auf der Fläche und vergraben ihn unter die Erde. Überdüngte „Geilstellen“ werden vermindert, Wurzeln wird der Dünger direkt zugeführt. Und auch unverdaut ausgeschiedene Samen kommen so unter die Erde.

Durch das Graben wird der Boden aufgelockert, wodurch Regen besser eindringen kann. Zusätzlich werden Weidetierparasiten reduziert, weil deren Eier oder Larvalstadien mit dem Dung eingegraben und nicht vom nächsten Zwischenwirt aufgenommen werden. Überdies stellen die Käfer selbst eine wichtige Nahrungsquelle für Fledermäuse und Vögel dar. Die in Niederösterreich leider ausgestorbene Blauracke hat sie genutzt. Und auch der langsam wiederkehrende Wiedehopf tut es wieder.

Diese interessanten Käfer mitsamt ihren wichtigen Ökosystemleistungen fehlen allerdings dort, wo Weidetiere mit Entwurmungsmitteln behandelt werden. Zahlreiche Mittel töten nicht nur die Darmparasiten, sondern auch die Käfer und ihren Nachwuchs. Verhinderbar wäre das, wenn Entwurmungen im Winterhalbjahr und nur bei unmittelbarer Notwendigkeit durchgeführt würden.

Schaf, Pillenwälzer und wir

Wäre das nicht eine erstrebenswerte Vision: Ausgedehnte Weiden, auf denen nicht nur Löwenzahn blüht, sondern eine pannonische Pflanzenvielfalt? Auf denen nicht nur Schaf, sondern auch Wiedehopf und Pillenwälzer gesund leben können? Konsument:innen die Landwirt:innen mit wenig zusätzlichem Geld für diese Form der Tierhaltung unterstützen und nicht auf den Kosten sitzen lassen?

Mit ein bisschen mehr Sorgfalt und ein paar bewussten Entscheidungen ist es möglich. Und gar nicht schwer. Zumindest nicht schwerer als eine Kugel zu wälzen.

Autor: Mag. Norbert Ruckenbauer

Literatur:

  • DENNER Manuel, DENNER Franziska, SCHERNHAMMER Tobias (2021): Die Dungkäferfauna (koprophage Scarabaeidae) einer Schaf- und Gänseweide in Hörersdorf (Bezirk Mistelbach, Niederösterreich) – Ergebnisse einer einjährigen Untersuchung 2020–2021 – Beiträge zur Entomofaunistik – 22: 131 - 139.
  • GLATZHOFER Elisabeth, DENNER Franziska, DENNER Manuel, SCHERNHAMMER Tobias (2024): Der Matte Pillenwälzer Sisyphus schaefferi (Linnaeus, 1758) – Österreichs Beitrag zum Insekt des Jahres 2024 – Entomologica Austriaca – 0031: 181 - 192.
  • HAUSL-HOFSTÄTTER Ulrike (1999): Zur bisher bekannten Verbreitung von Sisyphus schaefferi (L.) in der Steiermark (Coleoptera, Scarabaeidae). – Joannea Zoologie – 01: 61 - 64.
  • SCHERNHAMMER Tobias (2020): Die Dungkäferfauna (Scarabaeidae) des Steinfelds – ein Best Practice-Modell für eine Dauerweide – Biodiversität und Naturschutz in Ostösterreich – 5: 17 - 24.
  • WAITZBAUER Wolfgang (2008): Käfer der Trockenlandschaft. S. 159 – 166 (hier: 163-164). In: In WIESBAUER Heinz. (Hrsg.): Die Steppe lebt. Felssteppen und Trockenrasen in Niederösterreich. Amt der Niederösterreichischen Landesregierung, Abteilung Naturschutz, St. Pölten.
  • Da JavaScript dekativiert ist, werden einige Inhalte nicht geladen.
  • Da dein Browser nicht supportet wird, werden einige Inhalte nicht geladen.
  • Auf Grund von zu geringer Bandbreite werden einige Inhalte nicht geladen.
  • Auf Grund von zu schwacher Hardware werden einige Inhalte nicht geladen.