700m2 Ausstellungsfläche erstrecken sich über zwei Stockwerke und zeigen in mehr als 200 Vitrinen etwa 40.000 Figuren. Die Zinnfigurenwelt ist das einzige Museum überhaupt, das selbst Zinnfiguren gießt und diese auch international vertreibt. Dabei verfügt es über einen Bestand von 1000 Formensteinen, die zum Teil über 100 Jahre alt sind. Am 6. Oktober 2021 wurde der Zinnfigurenwelt das Österreichische Museumsgütesiegel verliehen.
Das Museum befindet sich im letzten erhalten gebliebenen Gebäude des Meierhofs des Schlosses Katzelsdorf. Während des Zweiten Weltkrieges war hier das größte Pferdelazarett an der Ostfront eingerichtet. Diese Nutzung lässt sich noch an den Säulen, den jetzt verschlossenen Futtertrögen und den Anbinderingen im gesamten Gebäude erkennen. Mit dem Ankauf dieser Halle durch die Gemeinde Katzelsdorf konnte ein historisches Gebäude erhalten werden und bekam mit dem Museum eine besondere Bedeutung.
Die im Museum ausgestellten Schaubilder (Dioramen) beginnen mit der Bärenjagd im Magdalénien (18000–12000 v. Chr.), zeigen das Leben und Treiben der römischen Legionen an der Limes-Grenze, führen über das mittelalterliche Österreich in die Zeit der Türkenbelagerung Wiens, thematisieren die Schlachten Prinz Eugens, seine Ehrungen, die Napoleonischen Kriege (z.B. Das Gefecht in der Schwarzlackenau 1809 oder Der Rückzug Napoleons aus Russland 1812), Straßenszenen aus dem biedermeierlichen Wien (Die Mölkerbastei, Der Basilisk – mit Blick in die Schönlaterngasse, Das Fasszieherhaus am Spittelberg) und die k. u. k. Monarchie unter Kaiser Franz Joseph.
Spätestens alle zwei Jahre wird eine neue Sonderausstellung präsentiert. Die aktuelle Sonderausstellung (2023–2025) ist dem Thema Taktische Spiele mit Zinnfiguren gewidmet.
Nicht nur Zinnsoldaten
Hört man „Zinnfiguren“, denkt man zunächst sofort an Zinnsoldaten. Präsent sind jedem noch aus Kindertagen die beiden Märchen von Hans Christian Andersen Der standhafte Zinnsoldat und Das alte Haus, in deren Handlungen Zinnsoldaten im Mittelpunkt stehen. Und im Märchen E.T.A. Hoffmanns vom Nußknacker und Mäusekönig (1819) findet der kleine Fritz unterm Weihnachtsbaum eine neue Schwadron Husaren, die sehr prächtig in Rot und Gold gekleidet waren, lauter silberne Waffen trugen und auf stolzen weißglänzenden Pferden ritten.
Aber man denkt zu kurz, setzt man Zinnfiguren mit Zinnsoldaten gleich. Die ganze Welt der Zinnfiguren lässt Joachim Ringelnatz vor unseren Augen entstehen, wenn er schreibt:
Die Zinnfiguren sind
Verbindung zwischen Kunst und Kind.
Sie schildern alle Zeiten.
Da schreiten, stehn und reiten
Klein-märchenbunt aus jedem Land:
Indianer, Ritter, Sachsen,
Und was der Schöpfer sonst erfand.
Auch Bäume, schön gewachsen,
Auch Häuser, Schiffe, Eisenbahn,
Flugzeuge, Autos, Pelikan
Wie jedes andere Getier;
Kurz: Allerlei und Jederlei Ist hier –
Studiert nach Farbe, Form und Sinn –
Schön ausgeprägt in Zinn.
Mitunter ist das Zinn aus Blei.
Sinnvoll, mit Liebe aufgestellt,
Zeigt das im Kleinen große Welt.
Wenn das uns Alten noch gefällt,
Will das für mich bedeuten:
Die Zinnfiguren sind
Verbindung zwischen Kunst und Kind
Und uns, den alten Leuten.
Dabei greift das Gedicht des deutschen Poeten noch viel zu kurz. Im Mittelalter fertigte man aus Zinn Pilgerzeichen oder Aufnähschmuck mit erotischem Inhalt, Objekte, die noch heute immer wieder bei Ausgrabungen in Verschüttungen von Zimmerböden, Kloaken oder Brunnen zu Tage treten. Im 19. Jahrhundert fanden sich im Sortiment der verschiedenen Offizinen (=Werkstätten) etwa auch liturgische Geräte en miniature, mit denen Kinder die Messfeier nachspielen konnten, Krippenfiguren, Christbaumanhänger oder Häschen für Ostern. Und genauso tummeln sich hier in Katzelsdorf in den Vitrinen und Dioramen Figuren aus literarischen Werken, aus Opern, Sagen, Märchen und Comics. Selbst Asterix hat schon die Zinnfigurenwelt erobert.
Nicht nur Nürnberg
Zunächst nur als Einzelprodukte auf den Markt gebracht, setzte im 18. Jahrhundert die Massenproduktion der flachen Zinnfiguren als Spielzeug ein. Sie wurden in Frankreich und England produziert. In Deutschland waren zunächst die „Spielzeugstadt“ Nürnberg und das benachbarte Fürth Zentren der Herstellung. In der Offizin der Familie Hilpert wurden ab der Mitte des 18. Jahrhunderts hochwertige Zinnfiguren hergestellt, neben Soldaten auch liebevoll gestaltete Tierserien, die zeitgenössische Tafelwerke zur Fauna exotischer Länder als Vorlage verwendeten, etwa die Zeichnungen Alexander von Humboldts von seiner Südamerikareise. Ebenso aber auch „Porträts“ der führenden Persönlichkeiten ihrer Zeit, wie die Gothaische gelehrte Zeitung berichtet: Ein überaus geschickter Künstler, Herr Hilpert in Nürnberg, fertiget nach dem Kupferstich des H. Chodowiecky Abgüsse des Königs von Preußen Maj. zu Pferde in der Höhe von 6 Zollen, aus einer gewissen Composition von Zinn, die er auf beyden Seiten mit Farben ausmalt, und besonders die Gesichtsbildung dem Original treffend zu machen sich bemühet. Die Zinnfiguren dieser Herrscherreihe, zu der auch Kaiser Joseph II. gehörte, waren immerhin an die 13 cm hoch. Während der Napoleonischen Kriege stagnierte aus verständlichen Gründen die Zinnfiguren-Produktion. Mit dem Ende der Befreiungskriege feierten sie eine fulminante Auferstehung: Ereignisse wie die Völkerschlacht bei Leipzig boten reiches Anschauungsmaterial für die Offizinen; Illustrationen in den zahlreichen Publikationen, die über die langen Kriegsjahre berichteten, lieferten die notwendigen Vorlagen.
In Nürnberg gründete Ernst Heinrichsen 1839 ein Geschäft, aus dem sich die größte Zinnfigurenoffizin der Welt entwickelte. Er führte die „Standardgröße“ für Zinnfiguren – die sog. Nürnberger Größe – mit 28–30 Millimetern ein. Neben Soldaten aller Heere griff die Offizin zahlreiche Themen aus dem biedermeierlichen Alltag auf: Szenen auf dem Jahrmarkt, Gartengesellschaften, Pferdeweiden, Parforcejagden usw. Aber auch in anderen Städten Deutschlands etablierten sich erfolgreiche Zinnfiguren-Produzenten, so etwa in Braunschweig, Hannover, Berlin oder Dießen am Ammersee.
In der Wiener Bräunerstraße gründete 1799 Franz Kietaibl die Kinder-Spielwaaren-Niederlage und Nürnbergerwarenhandlung Zum Chinesen. Hier fanden die Kinder alles, was das Herz begehrte. Hier verkauften auch die Wiener Offizinen ihre Figuren, wenn sie diese nicht selbst vertrieben. Ab 1868 ging man dann auch beim Kober am Graben einkaufen. Bis 2016 war es die Anlaufadresse in Wien, war man auf der Suche nach hochwertigem Spielzeug. Mein liebster Spazierweg durch die Innere Stadt führte immer dort vorbei: Ich begeisterte mich weniger für die Puppen, die in den Schaufenstern saßen, mein Liebling war der etwa 180 cm hohe Steiff-Bär, der pünktlich mit Öffnung des Geschäftes neben dem Eingang thronte. Im 20. Jahrhundert ließ Kober unter der Eigenmarke Alte Zinnfiguren aus Wien Zinnfiguren produzieren.
Für viele Wiener Zinngießer waren Zinnfiguren allerdings nur ein willkommenes Zubrot. Den größeren Umsatz machten sie mit Gebrauchswaren, so etwa die 1825 in Wien gegründete Zinngießerei des Josef Sichart. In der Werkstatt seines Sohnes entstanden Ende des 19. Jahrhundert Weinkrüge, Zimente (= Maßgefäße), Schanktassen, Gefrorenes-Maschinen, Gefrierbüchsen, Wärmflaschen, Beschläge für Biergarnituren und Gläser – und auch Zinnspielwaren. Die Formen für diese Zinnfiguren – darunter ein biedermeierlicher Bauernmarkt, ein Ritterturnier nach der Vorlage von Matthäus und Josef Trentsensky, Theaterfiguren, eine Völkergalerie, Kaufrufe und natürlich auch Figuren der k.u.k. Armee – übernahm die Zinngießerei Zimm & Pauer, die seit 1865 ihre Verkaufsniederlassung in der Naglergasse im 1. Bezirk hatte. Zumindest seit 1935 betätigte sich der Ziseleur Alfred Richard Krunert (1902–1951) als Spielwaren-Erzeuger. Für seine Offizin AKA Wiener historische Zinnfiguren produzierte er Zinnfiguren zu bedeutenden historischen Ereignissen (30jähriger Krieg, Napoleonische Kriege, Andreas Hofer, Revolution 1848, österreichische Armee 1866, Erster Weltkrieg usw.) und zum Alltagsleben, wie etwa Tierserien oder Wiener Typen nach Illustrationen des Karikaturisten Fritz Schönpflug. Eine weitere erwähnenswerte Produktionsstätte von Zinnfiguren in Wien war das 1929 von Eduard Ferdinand Scheibert (1882–1930) gegründete Offizin. In diesem Jahr findet sich sein Name erstmals unter den Spielwarenerzeugern und Branchen mit künstlerischen Zinnfiguren. Sein Betrieb wurde von Hedwig Scheibert weitergeführt (künstlerische Zinnfiguren für historische Sammler).
Von der Vorlage zum Diorama
Produziert wurden und werden vollplastischen, halbplastischen und flachen Figuren in allen Größen und Maßstäben. Selbst die Flachfiguren besitzen eine ausgearbeitete Vorder- und Rückansicht. An dieser Tatsache orientiert sich auch der Herstellungsprozess:
Ein – meist professioneller – Zeichner macht eine maßstabsgetreue Zeichnung einer Figur bzw. eines Motivs sowohl in der Vorder- als auch in der Rückansicht. Entweder dienen Bilder/Fotos, Gemälde oder Grafiken als Vorlage oder die Figur entspringt „nur“ der Fantasie.
Anhand dieser Vorlage graviert nun der Graveur diese Zeichnung als Flach- oder Rundfigur in den Schieferstein. Dabei werden zwei Schiefersteinhälften (eine für die Vorder- und eine für die Rückseite) aufeinander gelegt; die Kunst des Graveurs ist es nun, nicht nur die Figur sowohl von vorne als auch von hinten mit möglichst vielen Details in je eine Stein-Hälfte zu gravieren, sondern auch die beiden Hälften passgenau übereinander zu legen, sodass nach dem Guss eine vollständige Figur vorliegt. Bei einer Standard-Figurengröße von 30 mm eine wahre Kunst! Zusätzlich muss der Graveur auch Gieß- und Entlüftungskanäle gravieren, die sowohl dem Einfüllen des flüssigen Metalls dienen, als auch dem Entweichen der dabei verdrängten Luft. Beide Hälften zusammen bilden die Gussform.
Der Gießer bereitet zuerst die Gussform vor, indem er die Steine anwärmt, dann die gravierten Stellen mit Ruß bedeckt und zuletzt Talkumpuder darauf stäubt, beides zur Verbesserung des Metallflusses und der Trennfähigkeit der Figur aus der Form. Der Gießer legt dann beide Schiefersteinhälften aufeinander und füllt das etwa 350°C heiße, flüssige Metall (eine Legierung aus Zinn, Blei, Wismut und Antimon) mit einem Schöpflöffel in die Form. In wenigen Sekunden erstarrt das Metall, und die Figur kann aus der Form gelöst werden. Zuletzt werden die Kanäle entfernt und die Figur liegt als „blanke Figur“ vor.
Die Zinnfigurenwelt verfügt über eine eigene Gießerei. Hier werden Figuren aus Formensteinen abgegossen, die ursprünglich österreichischen Herstellern gehörten, heute aber im Besitz der Zinnfigurenwelt sind, darunter die der Offizinen Scheibert-Schiller, Vesely und Pohl. Damit wird dieses alte Kunsthandwerk am Leben erhalten, das seit dem 18. Jahrhundert ausgeübt wird. Die Figuren werden sowohl auf Bestellung an Zinnfigurensammler und -maler aus der ganzen Welt verkauft als auch im Museumsshop angeboten.
Der letzte Schritt ist optional. Manche Sammler spezialisieren sich auf blanke Figuren, manche auf bemalte und manche bauen ihre bemalten Figuren in sogenannte Dioramen (Schaubilder) ein, um nicht nur die Figur, sondern auch ihr Umfeld darzustellen (z.B. eine historische Szene). Die Figur wird gewaschen, grundiert und dann mit Öl- oder Acrylfarben bemalt. Auch hier liegt es an der Kunst des Malers, feinste Details herauszuarbeiten (z.B. Uniformknöpfe oder Augen bei einer nur 30 mm großen Figur!).
Waren Zinnfiguren früher ein beliebtes Kinderspielzeug, so wurden sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vom billigen Plastik abgelöst. Heute leben Barbie und Disney-Prinzessinnen in Plastikhäusern mit Plastikmöbeln, Lego© Friends tummeln sich in Plastikdörfern, und auf den Spielbrettern laufen Plastikfiguren um die Wette.
Heute sind Zinnfiguren in erster Linie Sammlerobjekte. Die einschlägige Literatur gibt genaue Tipps für ihre sachgerechte Aufbewahrung. Zum Leben werden sie allerdings erst erweckt, wenn man mit ihnen Schaubilder gestaltet. Oft dienen sie dazu, in Museen und Ausstellungen als Dioramen die Vergangenheit lebendig zu machen. Vorbildhaft ist dafür die Zinnfigurenwelt Katzelsdorf und ihr Trägerverein, 1683 – Gesellschaft der Freunde und Sammler kulturhistorischer Figuren, die seit ihren Tagen im Zinnfigurenmuseum Pottenbrunn diese Tradition in ihrem Museum und mit Aufträgen für andere Museen und Ausstellungen pflegen. Als Beispiele für ihre beeindruckenden Leistungen seien hier nur zwei der in Katzelsdorf gezeigten Großdioramen angeführt: Die Belagerung Wiens durch die Osmanen im Jahre 1683 mit ca. 4000 Figuren aus den Offizinen Ochel, Scheibert, Neckel, Fohler u.a. und Der Donauübergang Prinz Eugens in Belgrad 1717 angefertigt von Wolfgang Frühwirt, Josef Steurer, Norbert Hahn und Ernst Plhak (Leihgabe der Landessammlungen Niederösterreich).
Autor:innen: Prof. Dr. Elisabeth Vavra – DI Dr. Robert Pražak
Verwendete und weiterführende Literatur:
- Marion Faber, Brigitte Grobe, Erhard Schraudolph, Helmut Schwarz, Alfred R. Sulzer, Paradestücke. Zinnfiguren aus Nürnberg und Fürth, Nürnberg 2000.
- Karl Gutkas, Katalog der ständigen Ausstellung von Dioramen, Gemälden und Großfotos im österreichischen Zinnfigurenmuseum Schloß Pottenbrunn/St. Pölten, St. Pölten ca. 1975.
- Theodor Hampe, Der Zinnsoldat. Ein deutsches Spielzeug, Berlin 1924.
Harald und Renate Kebbel, Bruckmann’s Handbuch der Zinnfiguren, München 1978. - Herbert Kisielewski, Kleine Figuren aus Zinn. Einst klassisches Knabenspielzeug – heute begehrtes Sammelobjekt und Männerspielzeug, Magisterarbeit Wöllersdorf 2014.
- Curt F. Kollbrunner, Zinnfiguren, Zinnsoldaten, Zinngeschichte, München 1979.
- Erwin Ortmann, Zinnfiguren einst und jetzt, Leipzig 1973.
Paul Ernst Rattelmüller, Zinnfiguren. Die Welt in der Spanschachtel, München 1971. - Hans-Jürgen Zimmermann, Das Zinnfiguren-Handbuch. Idee, Entwurf, Zeichnung, Gravur, Guß, Bemalung, Dioramenbau, Fotografie und Film, Stuttgart 1983.
Einen Überblick über die Offizinen bietet:
http://www.zinnfiguren-bleifiguren.com/Firmengeschichten/Gesamtnamensliste.html
Hinweise zu Öffnungszeiten und Veranstaltungen in der Zinnfigurenwelt finden Sie unter:
www.zfw-katzelsdorf.at
Die Zinnfigurenwelt ist ganzjährig (außer 24. Dezember bis 6. Jänner) an Samstagen, Sonn- und Feiertagen von 10:00 – 17:00 Uhr geöffnet. Jeden 1. Sonntag im Monat findet für Museumsbesucher:innen ein Schaugießen in der Gießerei statt.
Zinnfigurenwelt Katzelsdorf
2801 Katzelsdorf, Hauptstraße 69
Tel. +43 2622 78250,
Fax +43 2622 78640-15
info@zfw-katzelsdorf.at
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